Effizienz und Ansehen wichtiger als Gesundheit?

"Ich sehe den Menschen in erster Linie als Menschen, nicht als Wirtschaftsfaktor." So lautet eine meiner politischen Kernaussagen. Doch immer mehr Menschen verwaschen die Trennschärfe dieser beiden Punkte: "Ich bin, was ich (er)arbeite." Heraus kommt eine gefährliche Mixtur aus Selbstdarstellung und Konkurrenzdruck. Auf der Strecke bleibt nicht selten: Die Gesundheit. Ungeachtet dessen versuchen wir, selbst unsere Kinder möglichst früh auf den Einsatz ihrer Ellenbogen vorzubereiten. Und sogar der Staat macht mit.

Zeichnung 'Kopfschmerzen'
So wie dieser Mann in einer Karikatur von 1819 fühlen sich wohl auch jene Menschen, die vor lauter Streben nach Geld und Macht vergessen, was es heißt, Mensch zu sein.

In Singapur ist dies bereits Wirklichkeit: Eine Phoenix-Dokumentation berichtete jüngst über Betreuungseinrichtungen für Kinder, in denen der Umgang mit Geld gelehrt wird. Allerdings nicht so, wie der gesunde Mensch es für richtig halten würde, sondern so, dass die Kinder lernen, ihre Finanzen möglichst effizient zu vermehren. Am Beispiel von Rollenspielen mit unternehmensähnlichen Strukturen werden singapurianische Kinder darauf gedrillt, dem Gesellschaftssystem später nicht zur Last zu fallen. Doch man muss gar nicht so weit schauen, um solch erschreckende Beispiele zu finden.

In München gibt es eine Kindertagesstätte mit dem Namen 'Little Giants'. Kinder werden hier bereits in der U3-Betreuung bilingual erzogen. Im Gegenzug können Besserverdiener gegen Zahlung höherer Geldsummen (eine Unterbringung in dieser Kita ist nicht ganz billig) sicher sein, dass ihre kleinen Lieblinge bestens auf das Leben - oder besser gesagt: den Konkurrenzkampf - vorbereitet werden. Auf der Internetpräsenz der Einrichtung heißt es: "Wir bieten sowohl für Familien und deren Kinder als auch für Arbeitgeber und deren Mitarbeiter mit kleinen Kindern qualitativ hochwertige und flexible Lösungen zur Kinderbetreuung." Ist "qualitativ hochwertig und flexibel" nicht eigentlich ein Wortungetüm, das eher im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Produktionsprozessen auftaucht? Sollte eine Kinderbetreuung nicht in erster Linie liebevoll und fürsorglich sein und das auch kommunizieren? Und wieso heißt es "Familien und deren Kinder" und "Mitarbeiter mit kleinen Kindern" anstatt einfach "Familien"? Eine Familie hat per Definition Kinder, sonst wäre sie keine Familie, sondern ein Ehepaar. Stattdessen werden Kinder - nicht nur sprachlich - zum lästigen Anhängsel gemacht. Was zunächst nach Erbsenzählerei klingt, offenbart sich bei längerem Nachdenken als das, was es ist: Das Diktat des Arbeitsmarktes. Und auf diesem gibt es schon längst keine Familien mehr, sondern eben nur noch "Mitarbeiter mit kleinen Kindern".

Aber nicht nur Kinder sind Effizienzwahn und dem Streben nach gesellschaftlicher Anerkennung ausgesetzt. Neulich entdeckte ich im Kopp Verlag ein Fremdwörterlexikon, das 'andersherum' funktioniert: Bekannte deutsche Wörter werden in komplizierte Fremdwörter übersetzt. Wozu das gut sein soll? Der Katalogtext macht es deutlich: "Steigern Sie Ihr Ansehen durch den Gebrauch von Fremdwörtern", war dort sinngemäß zu lesen. Ein Dorn in meinen Augen und wohl auch in denen jedes anderen Germanisten, von der Notwendigkeit, sich mit künstlichen Federn zu schmücken, mal ganz zu schweigen.

Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, möchte ich ein letztes Beispiel anführen, das mir im Internet begegnet ist. Selbst Haustiere werden inzwischen 'optimiert': "Ist Ihr Hund perfekt? Wir zeigen, wie er es wird." Darunter die Internetadresse einer Hundeschule. Neben dem perfekten Kind und dem perfekten Erwachsenen soll es also zukünftig auch noch den perfekten Hund geben. Eine nur scheinbar perfekte Welt. Denn der Preis für dieses Streben nach Perfektion ist hoch.

Ein Kind muss auch Kind sein dürfen; familiärer Rückhalt und physische Nähe zu Mutter und Vater sind wichtiger als das möglichst frühe Erlernen einer Fremdsprache. Ein erwachsener Mensch sollte durch seine Natürlichkeit überzeugen statt durch aufgesetzte und auswendig gelernte Phrasen, die vermutlich nicht mal er selbst versteht. Zu guter Letzt ist auch ein Hund in erster Linie ein Hund und kein Vorzeigeobjekt zur Steigerung der Reputation seiner Besitzer.

Darüber hinaus sind die gesundheitlichen Folgen dieses Wettlaufs noch gar nicht abzusehen. Denn was für die Weltwirtschaft gilt, gilt auch für den Menschen an sich: Es ist unmöglich, in einer endlichen Welt mit endlichen Ressourcen ins Unendliche zu wachsen. Der Zustand der Perfektion wird nie erreicht werden, es wird immer 'besser' gehen. Die Frage ist nur, an welchem Punkt sich der menschliche Organismus ausklinkt. Ich erinnere an eine erhöhte Suizidrate in asiatischen Fabriken, die ihre Produktion ins Unermessliche steigern wollten. Aus meinem direkten Umfeld ist mir sogar eine Firma bekannt, die ihren Mitarbeitern Prämien gewährt, wenn diese ein Jahr lang keine Krankmeldung eingereicht haben; Krankheit scheint dort nicht als das betrachtet zu werden, was sie ist, nämlich ein wichtiger Prozess für Körper und Seele, sondern als störender Faktor auf dem Weg zur Perfektion.

Im Zusammenhang mit dem gefährlichen Wettlauf um Ansehen und Effizienz fallen mir immer wieder die Kinogänger ein, die sofort nach Ende des Films aufspringen, um zu planen, was sie als nächstes machen könnten. Bloß keine Zeit verlieren, jede Sekunde - effizient - nutzen. Dabei kann - um im Beispiel zu bleiben - ein Abspann dazu dienen, das Gesehene sacken zu lassen, sich vielleicht darüber zu freuen, dass der Film gut war oder sogar nachzulesen, welche Menschen an seiner Entstehung beteiligt waren. Stattdessen rennt man fast panisch zum Ausgang, um nur ja keine Zeit zu verlieren im immer schneller werdenden Rad des Lebens. Das Erschreckende: So macht es die Mehrheit. Nur ein kleiner Rest bleibt bis zum Schluss sitzen. Doch solange es diesen 'Rest' noch gibt, gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass auch die Weiterhetzenden und auf Effizienz Getrimmten irgendwann verstehen, worum es im Leben geht.

Daher möchte ich in Anlehnung an den Postwachstumsökonomen Niko Paech an Sie, liebe Leser, appellieren: Wir müssen wieder lernen, die Dinge, die uns umgeben, lustvoll auszuschöpfen und mit dem zufrieden zu sein, was wir haben. Vergleichen wir uns nicht ständig mit Anderen! Ansonsten bleibt uns am Ende nur immer mehr Materielles und immer weniger Zeit.

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