Abschlüsse

Bilden formelle Abschlüsse in Schule und Beruf wirklich ein adäquates Mittel, die Einsatzfähigkeit eines Menschen zu beurteilen? Einige Gedanken.

Promotionsfeier mit Doktorhüten

"Hast Du denn auch einen Abschluss?" - "Nein, aber ich bin sehr gut in dem, was ich tue." - "Ohne Abschluss kein Job." Solche und ähnliche Dialoge sind in Deutschland leider keine Seltenheit. Von dem gesellschaftlich-sozialen Zwang, einen gewissen Abschluss zu erwerben ("der Soundso ist ein ganz hohes Tier"), einmal abgesehen, stelle ich auch die Aussagekraft solcher 'Zeugnisse' in Frage. Nicht immer bekommen die geeignetsten Menschen auch den geeignetsten Job; ein Abschluss mehr, eine Note besser und schwups, steigt man im 'Assessment-Raster' gleich weiter auf. Wahres Können bleibt dabei nicht selten auf der Strecke.

Denn was sagt z. B. ein gutes Abitur wirklich aus? Doch eigentlich eher, dass der Mensch leistungsbereit und willensstark ist oder auch, dass er diszipliniert arbeiten kann. Vielleicht auch noch, dass er eine gewisse Intelligenz besitzt (hierüber könnte man bereits diskutieren). Damit hört es aber auch schon auf. Ich erinnere mich an mein eigenes Abitur, in dem ich in Mathe überdurchschnittlich gut und in Deutsch unterdurchschnittlich schlecht abgeschnitten habe; dabei liegen meine Kernkompetenzen genau andersherum, die Freude am und das gute Abschneiden im Germanistikstudium geben mir Recht.

Apropos: Was sind mir im Lehramtsstudium Kommilitonen begegnet, bei denen ich gedacht habe: "Au weia, die armen Schüler!" Und dennoch: Reißt sich einer dieser 'empathisch und sozial eher Untalentierten' nur lange genug zusammen und weist einen entsprechend guten Abschluss auf, wird er bevorzugt behandelt und vermutlich sogar bevorzugt eingestellt. Der Abschluss sagt in diesem Fall so gut wie gar nichts über die didaktische Lehrfähigkeit aus, für die es kaum weitere Qualitätsprüfungen gibt. Heraus kommt eine nicht unerhebliche Menge unmotivierter Lehrer, die vielleicht das große Geld und längere Urlaubszeiten (beides übrigens eher Klischee als Realität) haben winken sehen, sich aber keinen Deut um das Wohl ihrer Schüler kümmern.

Natürlich, viele junge Menschen werden Lehrer aus Berufung, doch erwischt der Schüler gerade einen 'von der anderen Sorte' und das in einem Fach, das versetzungsrelevant ist, kann es ganz schnell ungemütlich werden. Aber was soll's? Eingestellt wird nach der Devise: 'Sobald der Lehrer sein Examen in der Tasche hat, wird er schon gut unterrichten, er hat es ja schließlich gelernt' (über Lernen und Nicht-Lernen sowie Sinn und Unsinn vieler Inhalte im Lehramtsstudium möchte ich gar nicht erst anfangen).

Ein anderes Beispiel brachte ein Gesprächspartner bei einem violetten Stammtisch. Er erzählte, er habe sich - ohne Diplom - auf eine Stelle im IT-Bereich beworben, für die eigentlich ein Diplom gefordert war. Er habe so umfangreiche Fertigkeiten, dass er sich sicher gewesen sei, die Anforderungen zu erfüllen. Das sogenannte Assessment-Center gab ihm Recht, er hatte es als Bester durchlaufen, auch seine Probearbeit war überdurchschnittlich gut; er wäre also bestens für die Stelle geeignet gewesen. Dennoch wurde er nicht eingestellt, da er kein Diplom hatte. Ob die Firma da wirklich die für alle Beteiligten beste Entscheidung getroffen hat...?

Es ist an der Zeit, tradierte Denkmuster aufzubrechen und neue Kriterien für die Einstellung von Arbeitnehmern zu finden als allein Noten und Abschlüsse. Sogar Frank-Jürgen Weise, Vorstandsvorsitzender der Bundesagentur für Arbeit (also einer, der weiß, wovon er spricht), wünscht sich "ein Aufbrechen von Denkmustern für berufliche Laufbahnen. Wir sollten weniger auf formale Qualifikationen und Abschlüsse achten, sondern mehr darauf, was ein Mensch für Talente und Fähigkeiten mitbringt. Wer auf diese Weise eine Arbeit findet, die ihm Freude macht, ist nicht nur motiviert - er vollbringt auch Leistungen, die kein Zeugnis jemals ausdrücken kann."

Die Lern- und Handlungsfeldorientierung der Berufsschulen stellt m. E. einen ersten Schritt in die richtige Richtung dar. Wenn schon Benotung, dann wenigstens mit Praxisbezug! Aber was hilft es, wenn währenddessen Doktoranden die Unis verlassen und meinen, allein ihr Doktortitel befähige sie zu hervorragendem praktischen Einsatz? Viele dieser 'Ich-habe-studiert-Kameraden' sind mir in meinem Leben begegnet und ich hatte eine wahre Freude daran, mit dem Spruch "ich auch, aber ich fühle mich genauso schlau (oder dumm... ;-) ) wie vorher" zu kontern; nicht zufällig ist Goethes 'Faust' mein Lieblingswerk ("Da steh' ich nun, ich armer Thor, und bin so klug als wie zuvor.")...

Ich stelle abschließend fest: Es ist ein Konglomerat aus gesellschaftlichen, sozialen, aber auch bildungspolitischen Fehlern, das zur derzeitigen Schieflage und der damit verbundenen Ungerechtigkeit geführt hat. Oder auf gut Deutsch: Es gibt noch viel zu tun im Bereich des Bildungssystems, packen wir es an! In diesem Sinne: Frohes Schaffen, ob mit oder ohne Abschluss!

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