Ist Koketterie die neue Wunderwaffe gegen Kritik?

Was haben Chuck Norris, David Hasselhoff und RTL gemeinsam? - Sie alle kokettieren mit ihrem Image. Bei manchen wirkt das sympathisch, bei anderen eher wie eine Rechtfertigung für schlechte Qualität. Ich möchte heute - nicht boshaft, aber mit einer gewissen Besorgnis - der Frage nachgehen: Schützt Koketterie vor Kritik und wenn ja, wo sind die Grenzen?

Der aktuelle Anlass ist das RTL-Dschungelcamp. Startet eine neue Staffel, sind auch die Kritiker nicht weit: Die gebildeten Leute, die angewidert die Nase rümpfen (und es doch heimlich gucken... ;-) ), die 'Mittelschicht', die es als das ansieht, was es ist, nämlich seichte Unterhaltung, und das klassische RTL-Publikum (ich möchte niemandem zu nahe treten), welches das Format als Reality-Show feiert, "in der Stars ihr wahres Gesicht zeigen". Nun gut, dazu mag jeder seine eigene Meinung haben.

Blickt man ein bisschen hinter die Kulissen bzw. in das Gehirn der Fernsehmacher, wird schnell deutlich, dass es sich um einen sehr klugen Schachzug handelte, die Moderatoren Daniel Hartwich und Sonja Zietlow immer stärker mit dem Schmuddel-TV-Image spielen zu lassen. Startete das Format noch mit dem Anspruch, die 'geschminkten' Stars zu demaskieren, ist es heute zum Pranger für Z-Promis aufgestiegen - oder verkommen, je nachdem, welche Maßstäbe man ansetzt. Die klassische Einordnung als so genanntes Unterschichtenfernsehen wird durch das Kokettieren des Senders immer schwieriger, denn wenn selbst der Sender nicht mehr ernst nimmt, was er da macht, dann ist es plötzlich auch für den Herrn Professor OK, mal zuzuschauen und wenn es ist, um die Stilmittel der Koketterie herauszuarbeiten.

Genau da setzt meine Frage an: Ist durch bloße Koketterie von hier auf gleich alles erlaubt? 'Darf' man unterstes Niveau senden und es durch den Trick mit der Selbstironie als Anspruch verkaufen? Woher rührt es, dass sich seriöse Magazine davon distanzieren, aber schließlich doch damit beschäftigen? Und wie kommt es, dass intelligente Menschen beginnen, die tiefere Botschaft hinter dem Format erkennen zu wollen, obwohl sie "so einen Kram ja eigentlich nicht gucken"? - Ein nettes Beispiel für diese Ambivalenz ist Markus Lanz und seine gleichnamige Talkshow im ZDF. Er begann das Thema 'Dschungel' - sinngemäß - mit ein paar Sätzen, die sowohl ihn als auch seine Gäste vom Schmuddel-TV der Privatsender abgrenzen sollten. Was dann folgte, war eine glossenhafte Analyse der Kandidaten auf Bildzeitungsniveau. Hätte nicht ZDF in der Ecke gestanden, hätte es auch Kollege Geissen machen können. Aber es ist exakt dieses Schema, nach dem das Dschungelcamp Einzug ins Bildungsfernsehen erhält: "Eigentlich sind wir ja was Besseres und gucken diesen Schrott nicht, aber wo wir einmal beim Thema sind..." Und schwupps, wird eine ganze (öffentlich-rechtliche und damit aus Gebührengeldern finanzierte) Sendung damit gefüllt, die von der Gala oder der Bunten kaum mehr zu unterscheiden ist. Ich persönlich weiß noch nicht, ob mich das erstaunen, besänftigen oder verärgern soll. Ich prangere auch niemanden deswegen an, ich stehe nur erstmal verdutzt da und habe Mühe, solche Dinge einzuordnen.

Dabei ist die Strategie 'ich habe nichts mehr zu verlieren und kokettiere mit meinem Image' nicht neu. Sowohl Chuck Norris als auch David Hasselhoff - beides ehemalige Größen der Fernsehlandschaft - sind heute Persiflagen ihrer selbst. Norris posiert nur zu gerne mit Waffen und Mucki-Hemd, um sein männliches Image zu untermauern, Hasselhoff lässt keine Gelegenheit aus, seinen größten Hit 'Looking for Freedom' zu trällern oder nur mit Badehose bekleidet in Zeitlupe durchs Bild zu laufen. Es sei den Beiden ja auch gegönnt, schließlich haben sie einmal Großes geleistet (Norris spielte in zahlreichen erfolgreichen Filmen mit, Hasselhoff erfand mit 'Baywatch' die erfolgreichste Fernsehserie der Welt). Dass sie den Zenith ihrer Karrieren längst überschritten haben, ist eine Tatsache, die ihre Bewunderer traurig stimmt. Dennoch gibt es auch Kritiker, die sie nur noch peinlich finden: "So ein David Hasselhoff sollte sich endlich zur Ruhe setzen und sich nicht immer wieder lächerlich machen." Sätze wie diese kann man durchaus nachvollziehen - je nachdem, wie hoch die 'Schmerzgrenze' ist.

Doch wie ist das beim Dschungelcamp? Es gibt eine Menge berechtigter Kritikpunkte (Trash-TV, Menschenwürde, der Vorwurf des Voyeurismus, das Ausnutzen der Geldnöte Anderer usw. usf.), die aber durch den simplen Trick des Bejahens ausgehebelt werden sollen: "Ja, wir machen Trash-TV! Ja, wir treten die Menschenwürde mit Füßen! Ja, unsere Zuschauer sind Voyeure, deren niederste Instinkte befriedigt werden sollen! Und ja, wir lassen unsere Teilnehmer für Geld alles machen und zeigen damit, dass jeder käuflich ist, wenn seine finanzielle Not nur groß genug ist!" Und zack, nimmt dem Format niemand mehr etwas übel. Im Gegenteil: Es wird für Fernsehpreise nominiert, die Quoten sprechen Bände und Studierende führen anhand des Verhaltens der Campbewohner soziologische Studien durch. Darüber musste RTL natürlich sofort berichten. Ein weiterer kluger Schachzug, um den Menschen, die irgendwie Anstoß an der Show nehmen, die letzten Bedenken aus dem Weg zu räumen: "Wenn sich sogar schon die hochgebildete Elite (*räusper*) damit beschäftigt, dann werde ich als Bildungsbürger es wohl auch gucken dürfen."

Damit mich niemand missversteht: Ich möchte keinen verurteilen oder mich als 'seriöser Fernsehzuschauer' auf den hohen Thron des Anspruchs heben, denn auch ich schaue interessiert und unterhalten zu, allerdings immer mit dem nötigen Abstand und in erster Linie, weil mich das 'Erfolgsrezept' der Sendung interessiert, also die Frage, was genau es sein könnte, das Millionen Deutsche jeden Abend vor den Fernseher lockt. Ich bewundere die Leute vom Schnitt, vom Ton, von der Requisite und nicht zuletzt die Werbestrategen im Hintergrund. Und ja, ich bin ein bisschen neidisch, dass sie es schaffen, aus nichts viel zu machen und selbst den kleinsten Furz (im wahrsten Sinne des Wortes) dramatisch in Szene zu setzen. Dennoch bin ich mir stets im Klaren, dass es niemals gelingen wird, Gespräche über Penisgrößen oder Brust-OPs mit einem Bildungsanspruch zu verkaufen.

Deswegen soll dieser Artikel auch nicht als reine Schelte auf das Format verstanden, sondern als Frage zum Weiterdenken aufgegriffen werden: Wird die Koketterie auf Dauer ein probates Mittel sein können, um Kritik gleich im Keim zu ersticken? Wenn ja, bin ich gespannt, wie lange das noch funktioniert und wo die Grenzen liegen. Werden 'Daniel & Sonja' noch lange sarkastische Sprüche zum Besten geben dürfen? Wie lange wird noch auf der Erfolglosigkeit der Probanden herumgehackt werden dürfen? Und viel wichtiger die Frage: Wie lange wird es noch durch Selbstironie als harmlos verkauft werden können? - Geschmacklosigkeit wird eben nicht zum Kult, nur weil man sie zum Stilmittel erhebt. Vielleicht wird RTL irgendwann einsehen - und damit folgt als Schlusswort doch noch eine Schelte -, dass ohne Koketterie und Zynismus eigentlich nichts weiter übrig bleibt als eines der niveau- und anspruchslosesten Formate ever - ever, ever.

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