Darf Kapital Rebellion vermarkten? Oder: Wie wichtig ist Geld wirklich?

Ohne Moos nix los. - Das gilt auch für Idealisten und Querdenker. Doch was, wenn man Absichten zur Überwindung der Geldmacht nur mit Geldmacht 'verkaufen' kann?

Die Hip-Hop-Formation Freundeskreis stellte schon in den 90er Jahren die Frage, inwiefern heutzutage Kapital Rebellion vermarktet. Was kompliziert klingt, ist recht einfach: Um Menschen in Masse zu begeistern, Andere mitzureißen oder gar eine gesellschaftliche Welle des Umbruchs loszutreten, bedarf es - nicht nur, aber auch - finanzieller Mittel. Ob ein Reinhard Mey, ein Udo Lindenberg, ein 'Freundeskreis' oder auch 'Untergrund-Künstler' wie Mono & Nikitaman: Sie alle haben viel zu sagen. Dinge, die gehört werden sollten.

Möchte man die Bühne 'Musikbranche' nutzen, um seine Botschaften unter das Volk zu bringen, ist man darauf angewiesen, sich deren Marktmechanismen zu unterwerfen. Heißt konkret: Man muss Geld verlangen, bei Plattenfirmen anheuern, Manager-Gehälter zahlen, kurzum: Man muss kurzzeitig 'im kapitalistischen System mitmischen' und es aushalten, im Plattenregal - zumindest als Cover - neben Gute-Laune-Interpreten, Dieter Bohlen und selbsternannten Schlagerkönigen aufzutauchen. Klar, man hätte seine Botschaft auch als Graffiti an eine Wand taggen können, die Frage ist, wie viele Adressaten sie dadurch wohl erreicht hätte. Möchte man über die Musik eine große Masse erreichen, hat man schlicht keine andere Wahl, als sich zumindest für die Dauer der Vermarktung der Macht des Marktes zu beugen und im Spiel um Plattenverkäufe mitzuspielen.

Dass manchen Künstlern dieses Mitspielen nicht gut bekommt, sieht man z. B. an einem Udo Lindenberg (den ich wegen seines Engagements für den Frieden grundsätzlich sehr schätze), der inzwischen als 'Pop-Ikone' ein recht mondänes Leben führt und keine Probleme damit hat, auch mal in einem VW(!) Phaeton vorzufahren, oder einem Max Herre, der sich nicht mehr zu schade ist, um auf einem Privatsender(niveau) neue 'Chart-Künstler' zu casten, deren "Plastikmusik" (O-Ton Herre) er einst zutiefst verabscheute.

Wird man also zwangsläufig so wie alle Anderen, sobald man einen gewissen Grad an Konformität überschritten hat? Oder konkret: Ist der 'Panikrocker' Lindenberg heute immer noch so rebellisch und (im positiven Sinne) missionarisch unterwegs wie damals oder ist er nur noch ein aufgesetztes Abziehbild seiner selbst, welches sich die Etiketten der Rebellion als kapitalistisches Vermarktungsinstrument in die Auslage legt? Grundsätzlich: Geht's überhaupt noch um Rebellion, um Umbruch oder geht es inzwischen - wie bei vielen Anderen auch - nur noch um Geld und Image?

Diesen Zwiespalt konnte ich am eigenen Leib während meiner aktiven Arbeit im ÖDP Kreisverband Aachen erleben: Wir wollten aufrichtig sein, den Menschen als Menschen sehen, niemandem etwas vorspielen. Und dennoch waren wir auf finanzielle Mittel und 'einen guten Auftritt' angewiesen.

War es authentisch, mit schicken Schuhen und etwas aufgesetzten Umgangsformen am Infostand auf Menschen zuzugehen? Nein. War es nötig, damit nicht 2/3 aller Leute - nämlich jene, die bequeme Kleidung und ein lockeres "Hallo, wie geht's?" immer noch mit mangelnder (politischer) Professionalität verbinden - an uns vorbeilaufen? Unbedingt. Auch wir haben uns gewissen Mechanismen gefügt, um Ziele zu erreichen bzw. Erwartungen zu erfüllen. Wir haben (private(!)) Spenden gesammelt, um unseren Wahlkampf zu finanzieren. Und das, obwohl wir Geld nur als Mittel und nicht als Zweck ansehen. Haben wir dadurch implizit Wählerstimmen 'erkauft'? Waren wir deswegen hinterlistig oder unehrlich? Oder 'ging es nunmal nicht anders'?

Wie hätten die Passanten auf veraltetes (aber thematisch immer noch aktuelles) Infomaterial reagiert, das wir im Nachhinein betrachtet aus Umweltschutz- und Wertschätzungs/-schöpfungsgründen lieber hätten verteilen sollen, anstatt es ins Altpapier zu geben? "Stellt Euch mal vor, die ÖDP verteilt Infomaterial, das ist schon drei Jahre alt!" Also kauften wir über den Landes- und Bundesverband neues. Wie hätten die Passanten auf 'Politiker im Gammelpulli' reagiert? Eine reine Äußerlichkeit, der ich zuviel Bedeutung beimesse? Oder doch wichtige Punkte, um die eigene Seriosität (die wir zweifelsohne hatten und auch immer noch haben) zu unterstreichen?

Während ich dies schreibe, muss ich an die Grünen denken: Angekommen in den Zentren der Macht haben auch sie sich stark verändert. Sie fahren plötzlich doch Auto und ein grüner Umweltminister stimmt für eine weitere Braunkohleverstromung. Blender? Aufschneider? Oder einfach nur 'Menschen wie Du und ich', die es nicht geschafft haben, den Systemwechsel (im konkreten Fall z. B. hin zu einem konsequent ökologischen Wirtschaftssystem) mit aller Konsequenz durchzuziehen, weil sie auf dem Weg dahin die Vorzüge von Geld, Macht und Lobbyinteressen schätzen und lieben lernten? Inzwischen haben die Grünen ausreichend finanzielle Mittel, um ihren Umweltschutz (oder zumindest das, was sie dafür halten) zu vermarkten.

Wo ist Joschka Fischer mit seinem Fahrrad und der Trainingshose? Kann man ihm seinen (finanziellen) 'Aufstieg' überhaupt zur Last legen? Jedenfalls lässt er sich inzwischen chauffieren, trägt edlen Zwirn und vertritt als Lobbyist mächtige Konzerne wie BMW, RWE oder OMV. BMW ist als Automobilhersteller im sogenannten 'Premiumsegment' nicht gerade für spritsparende Fahrzeuge bekannt, RWE ist Hauptbetreiber vieler Atomkraftwerke und bei OMV handelt es sich um das größte (Mineralöl-)Unternehmen Österreichs. Wie kam es, dass sich Fischers Idealismus in pure Geldgier - anders kann ich mir seine 'Konzerntätigkeiten' nicht erklären, es sei denn, er träte dafür ein, die Firmen zurück auf den 'richtigen Weg' zu führen, was ich mir wiederum nur schwer vorstellen kann - verwandeln konnte?

Die Violetten - für spirituelle Politik - sind eine deutsche Kleinpartei, die (neben der ÖDP) dem Wachstumszwang ein wirksames Gegengewicht entgegensetzen möchte: Sie fordern, da sind sie radikaler als die ÖDP, nicht nur ein Überdenken der kapitalistischen Geldmacht als mutmaßlich liberalem (Selbst-)Regulierungsmechanismus, sondern auch - man korrigiere mich, sollte ich mich irren - eine Überwindung des deutschen Parteiensystems, da sie ein Gesellschaftssystem anstreben, in dem sich die Menschen (und zwar nicht im anarchistischen Sinne, sondern auf der Basis gegenseitiger Wertschätzung und unter stetiger Berücksichtigung des Gemeinwohls) selbst regieren. Ein edles Ziel, für das sich zu kämpfen lohnt, doch um die Parteienlandschaft überflüssig zu machen, muss man sich zuerst in selbiger 'einnisten' (im positiven Sinn), um sie 'von innen heraus' zu reformieren.

Wie weit ist man also bereit zu gehen? Und gelingt dann irgendwann der 'Absprung'? Oder werden auch ÖDP und Violette - sollten sie es tatsächlich mal flächendeckend in Parlamente schaffen - zwangsläufig wie alle Anderen, die es sich 'im System gemütlich gemacht' haben? Ist Politik ohne Firmenspenden überhaupt möglich? Braucht man Geld, um Geld abzuschaffen?

Was tun, wenn sich Absichten zum Anstoß eines Systemumschwungs nur systemimmanent realisieren lassen? Ist das ein Hund, der sich in den Schwanz beißt oder 'halt das ganz normale Leben'? Ist es ein Zeichen dafür, dass das bisherige System eigentlich gar nicht so schlecht sein kann oder ist es ein Zeichen dafür, dass es dringend eines Umbruchs bedarf, für den es aber längst zu spät ist? Ich weiß es nicht.

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